Niemand in Hamburg ahnte am Abend des 16. Februar 1962, was der Stadt in der kommenden Nacht bevorstand. So auch Reinhard Wendler aus Billwerder, der damals 19 Jahre alt war. Er erinnert sich nur schemenhaft an jene Nacht, aber ein paar Dinge fallen ihm doch noch ein:


   
  Reinhard 1962   Reinhard heute


„Ich war damals beim DRK als ehrenamtlicher Helfer. Hochwasser war angesagt, aber das hatte keiner so richtig ernst genommen. In den Nachrichten sprachen sie von 2-3 Meter Hochwasser. Ich lag schon im Bett. Wir hatten kein Telefon. Ein Nachbar kam und sagte, es gäbe Alarm. Ich sollte nach Bergedorf zu unserem Standort vom Roten Kreuz kommen. So fuhr ich nach Bergedorf. Irgendwann nach Mitternacht wurden wir von dort angefordert. Es ging mit einem LKW nach Overwerder, wir waren ca. 20-25 Leute vom DRK.

Die Fahrt auf dem Deich war ein bisschen unheimlich. Es war stockdunkel. Der Wagen hatte kleine Fenster, aus denen wir raus gucken konnten. Wir glaubten es nicht: Links war Wasser und rechts war auch nur Wasser zu sehen!

Wir standen auf dem kleinen schmalen Deich. Die Feuerwehr war schon Vorort. Die waren aber mehr auf Feuer- als auf Wasserbekämpfung vorbereitet. Auch das THW und die Deichwacht waren da. Es hieß: „Vorm Deich sind noch Leute!“ Von einem Anwohner gab es zunächst einen Eisenkahn. Mit dem wollten wir los, drehten uns aber nur auf der Stelle. Wir konnten damit nicht manövrieren. Dann gab es ein Schlauchboot. Damit fuhren ein paar Leute los. Die kamen aber nicht weit. Es gab Zäune mit Stacheldraht, Pfähle für die Wäsche... Das Boot war dann platt. Deshalb entschlossen wir uns durchs Wasser zu waten. Wir sind da vom alten Deich weit nach Mitternacht rein gegangen. In Gruppen von ca. 5-6 Männern, gegenseitig angeleint, ging es in Richtung der Hütten. Ich hatte meine normale DRK-Kleidung an und trug Halbschuhe. Das kalte Wasser ging mir bis zur Brust. Wir kannten uns in dem Gebiet nicht gut aus. Es stürmte und regnete, aber wir waren ja schon nass...! Natürlich war auch Wellengang im überschwemmten Gebiet. Die Häuser dort sollen ja auf Pfählen gewesen sein. Aber das hat nichts genutzt, das Wasser war viel zu hoch. Leute saßen in den Häuschen oder auf Dächern. Wir sagten zu den Bewohnern „Ihr habt doch die Sturmflutwarnung gehört!?“ Die Antwort:„Wir haben jedes Jahr Sturmflut! Bisher haben wir das immer überstanden.“ Bei vorangegangenen Fluten hatten die Leute wohl wichtige Sachen und sich an einen hohen Ort im Haus gebracht oder waren aufs Dach gegangen. Aber diesmal reichte das nicht. Ein paar der Bewohner wollten nicht mit. Sie meinten, sie würden das mit der Flut kennen. Wir haben die Menschen untergehakt und sind zurück zum Deich gegangen. Dort standen auch Großraumkrankenwagen, das war sehr eng.

Vom Deich aus wurden die Geretteten zum Lichtwarkhaus in Bergedorf gefahren, dort war die Notaufnahme. Ich war klitschnass und wurde am frühen Morgen nach Hause gebracht. Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaute, war auch hinter unserem Haus am Billwerder Billdeich 80 das Wasser! Da waren wohl einige Deichstücke gebrochen. In den nächsten Tagen lief das Wasser nur ein bisschen ab. Dann setzte Frost ein und das überschwemmte Gebiet war eine Eisfläche.“


An 60 Stellen waren die Deiche auf hamburgischen Gebiet gebrochen. Pegel St. Pauli 16.2., 16:10 Uhr + 3,98 m NN; 17.2., 3:07 Uhr + 5,70 m NN.

In Overwerder wurde das Gelände und die Hütten von der Sturmflut schwer getroffen. Aber es war dort zum Glück niemand umgekommen. Die Hüttenbewohner durften nach zwei Tagen wieder auf das Gelände. Einige Hütten waren weg geschwommen oder lagen auf dem Dach. Viele Hütten wurden erst bei ablaufendem Wasser zerstört: Da das Wasser draußen niedriger als der Wasserstand in der Hütte war. Die Wände konnten dem Druck nicht standhalten und wurden nach außen gedrückt. Nachdem der erste Schock überwunden war, fingen die Bewohner wieder an, die Hütten aufzubauen!

Mehr Informationen zur Sturmflut auf:
sturmflut.hamburg.de

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